Umdenken!

Die Intralogistik der Zukunft braucht Zirkularität – das ist ein Kerngedanke des Nachhaltigkeitsverständnisses von STILL. Bereits 2022 entstand eine Konzeptstudie für eine neue Fahrzeuggeneration nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C). Analysiert wurde ein komplett zirkulärer Lebenszyklus eines Gabelstaplers inklusive Recycling und Wiederaufbereitung aller denkbaren Komponenten. Laut der Studie sind Kohlenstoffeinsparungen im zweistelligen Prozentbereich möglich. Im Gespräch erklären Eva Virtute, Advocacy & Product Sustainability & Competence Center Sustainability Director bei KION, und Frank Müller, Senior Vice President Sales & Service Business Development STILL, die Ergebnisse.

Frau Virtute, C2C ist ein dickes Brett. Was würden Sie sagen, sind die größten Herausforderungen, die sich aus der STILL Konzeptstudie ableiten lassen?

Ja, in der Tat. Cradle-to-Cradle (C2C) ist eine faszinierende Reise hin zu einer neuen Art und Weise, Produkte zu entwerfen und die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in allen Prozessen unserer Herstellung und unserer Lieferkette anzuwenden. Aus meiner Sicht gibt es zwei zentrale Herausforderungen, die einen echten Unterschied ausmachen: die ökologische Denkweise und die Einbeziehung der Lieferanten. Ersteres bedeutet, dass wir bereits bei der Konzeption „zirkulär“ denken. Wir müssen uns ein Bild davon machen, wie ein zirkulär gebautes Fahrzeug aussehen könnte, damit es die Erwartungen der Kunden erfüllt. Das zweite bedeutet, dass wir unsere Lieferanten mit ins Boot holen, damit sie uns mit allen Informationen versorgen, die wir für die Anwendung von C2C-Prozessen benötigen. Ein Beispiel sind Informationen über grünen Stahl.

Und was sind die größten Chancen?

Dass wir etwas verändern und zur Gesundheit unseres Planeten beitragen können: C2C verlangt von uns neue Lösungen, indem wir hoch innovative digitale Technologien, wie KI-Systeme, mit Nachhaltigkeitszielen verbinden, etwa der Verbesserung der Energieeffizienz. Darüber hinaus öffnet C2C die Tür zu neuen Geschäftsmodellen und zu neuen Wegen der Nutzung unserer Ressourcen. Denn das ist einer der großen Treiber: knappe Ressourcen!

Herr Müller, Sie kennen die Bedürfnisse der STILL Kunden. Treffen Sie mit dem zirkulären Stapler einen Nerv?

Ja, wir sehen, dass dieses Thema unsere Kunden bewegt. In den meisten Großkundenausschreibungen sind Angaben zur Nachhaltigkeit, zu den entsprechenden Zertifikaten und zu unserem Carbon Footprint bereits Standard. Aber unsere Motivation geht tiefer: Schauen wir auf Wertstoffe, die in Deponien verschwinden, oder Recycling, das nur einen Bruchteil der Materialien rettet. Ich glaube, das lineare Modell der industriellen Wertschöpfung ist längst an seine Grenzen gestoßen. Denkt man Kreislaufwirtschaft konsequent zu Ende, landet man fast zwangsläufig bei C2C – das ist heute in den meisten Industriezweigen unbestritten. Der Wandel zur Kreislaufwirtschaft ist die größte Transformationswelle des Industriezeitalters. Wer hier vorangeht, hat die Chance zum „Game Changer“ der Branche zu werden.

Was sind die wichtigsten Anforderungen an eine „marktfähige Zirkularität“?

Woher kommt das Material? Und wohin geht es? Diese beiden Fragen müssen immer geklärt sein. Das wirft Unterfragen auf: Was kaufen wir ein? Halten sich die Lieferanten an Nachhaltigkeitskriterien? Wie gestalten wir Produkte so, dass für ihre Herstellung weniger Material, weniger Energie, weniger Arbeit erforderlich ist? Wie erreichen wir eine längere Lebensdauer und Nutzung der Produkte? Wo können wir in Zukunft recycelte oder nachhaltige biobasierte Materialien bei der Herstellung verwenden und unseren ökologischen Fußabdruck sowie den unserer Kunden verringern? Dies alles muss bereits in der Phase der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Das ist anspruchsvoll, hilft uns aber auch wirtschaftlich: Wir reduzieren Materialabhängigkeiten und können damit die Kosten mindestens stabilisieren. Angesichts der derzeit kaum kalkulierbaren Preisentwicklung für Energie und Materialien ist das ein großer Vorteil.

Frau Virtute, ein effektiver und funktionierender Stoffkreislauf – ist das für STILL heute schon in größerem Umfang in Sicht?

Natürlich hat STILL derzeit noch keine vollständig zirkuläre Wertschöpfungskette, aber wir haben wichtige Meilensteine auf dem Weg dorthin erreicht und haben einen klaren Fahrplan: Bis 2027 wollen wir im Vergleich zu 2017 30 Prozent der Energie in der Produktion einsparen. Während der Pandemie wurde das bereits erreicht und ist nun auch in „normalen Zeiten“ zu halten beziehungsweise auszubauen. Bis 2024 definieren wir dafür Strategie und Aktionspläne und setzen anschließend ein Leuchtturmprojekt nach dem C2C Prinzip um. Dafür haben wir eine neue Abteilung geschaffen, die in Zusammenarbeit mit mehreren internen Abteilungen Erfahrungswerte sammelt, damit wir auf lange Sicht die vollständige Kreislaufwirtschaft zur „neuen Normalität“ machen.

Herr Müller, müssen die Kunden auch umdenken?

Auf jeden Fall, wenn es um die Kreislaufwirtschaft geht, ist ein Umdenken von uns allen erforderlich – wir können dieses Ziel nur gemeinsam erreicht. Alle Anstrengungen, die wir unternehmen, wären nutzlos, wenn unsere Lieferanten und Kunden uns nicht auf diesem Weg begleiten. Deshalb unterstützen wir sie bei der Umsetzung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsprogramme und schaffen damit eine wichtige Voraussetzung für den gemeinsamen langfristigen Erfolg. Denn Kreislaufwirtschaft ist intelligente Nachhaltigkeit und keineswegs utopisch.

Eva Virtute

Wir finden neue Lösungen, indem wir hoch innovative digitale Technologien, wie KI-Systeme, mit Nachhaltigkeitszielen, wie der Verbesserung der Energieeffizienz, verbinden.

Eva Virtute, Advocacy & Product Sustainability & Competence Center Sustainability Director